Am östlichen Stadtrand von Kempten wächst ein Stück Stadt, das mit Maß und Ruhe agiert. Sechs Stadthäuser fassen Wege, Grünzug und private Gärten zu einem fein vernetzten Wohnensemble. Die Architektur bleibt zurückhaltend – und prägt doch eine starke Identität.
Ort und Ordnung
„Auf der Ludwigshöhe“ liegt leicht erhöht über der Stadt. Hier, zwischen Sligostraße und Trienter Straße, wurde ein Bebauungsplan der 1990er Jahre in die Gegenwart übersetzt: Statt überlanger Riegel entstehen kleinere Hausvolumen, die den Straßenraum öffnen und zum öffentlichen Grünzug durchlässig halten. Konisch geschnittene Baukörper weiten die Perspektive, geben Sonne und Aussicht frei – ein städtebaulicher Gestus, der Dichte mit Großzügigkeit verbindet.
Ensemble mit Haltung
Die Häuser sind als „Stadthäuser“ gedacht – skulptural geformt, mit asymmetrischem Satteldach über fünfeckigem Grundriss, ohne Dachüberstand. Durch die leichte Verjüngung zum Grünzug hin entsteht Weite zwischen den Baukörpern; Blickbezüge und Orientierung sind intuitiv. Den Loggien sind schmale Balkone vorgelagert, deren weich gerundete Brüstungen einen feinen Kontrapunkt zur strengen Kubatur setzen – ein leiser Gruß an die Gründerzeit, zeitgemäß interpretiert.
Sozial gemischt – gestalterisch aus einem Guss
Das Quartier vereint 47 öffentlich geförderte Mietwohnungen und 39 Eigentumswohnungen in zwei Bauabschnitten. Die äußere Erscheinung bleibt bewusst gleichwertig – Architektur schafft hier keine Unterschiede zwischen Miet- und Eigentumslage, sondern eine gemeinsame Adresse. Im Fördersegment konnten Kaltmieten zwischen 4,50 und 7,00 €/m² realisiert werden; zugleich waren sämtliche Eigentumswohnungen bereits in der Planungsphase veräußert. So entsteht soziale Durchmischung ohne gestalterische Hierarchie.
Wohnen in Varianten
Jedes Haus nimmt 13 bis 18 Wohnungen auf, drei bis vier pro Regelgeschoss, ein bis zwei im Dachgeschoss. Der Mix reicht von kompakten 2-Zimmer-Einheiten bis zu familiengerechten 4- und 5-Zimmer-Wohnungen. Erdgeschosswohnungen erhalten private Gärten mit geschützter Loggia; in den Obergeschossen verbinden Loggia und Balkon den Innenraum mit dem Draußen. Die Dachgeschosswohnungen öffnen sich auf eingeschnittene, wind- und blickgeschützte Terrassen – stille Orte über den Baumkronen. Alle Gebäude sind über Aufzüge barrierefrei erschlossen, der überwiegende Teil der Wohnungen ist barrierefrei nutzbar.
Freiraum als Bindeglied
Ein blattaderförmiges Wegenetz verknüpft Häuser und Grünzug. Zwischen den privat zugeordneten Gärten liegen gemeinschaftliche Wiesen, Spielangebote für mehrere Generationen und Ruheinseln. Geschnittene Hecken strukturieren, frei wachsende Hecken schaffen Abstand; Obst- und Großbäume geben dem Freiraum Halt. Müll- und Fahrradbereiche sind in die Gebäude integriert, die Tiefgaragen – zoniert und statisch getrennt – halten die Höfe frei von Nebennutzungen. Der Außenraum wirkt leicht, lesbar und selbstverständlich.
Konstruktion – robust, wirtschaftlich, regional
Gebaut wurde in bewährter Massivbauweise: einfache, kompakte Tragstrukturen, wo möglich monolithisch mit kerngedämmten Ziegeln. Die wärmebrückenfreie Gebäudehülle mit 36,5 bzw. 42,5 cm Ziegeln, Dreifachverglasung und differenziertem Öffnungsanteil bildet das leise, aber wirksame Fundament für Energieeffizienz und Wohnbehaglichkeit. Im geförderten Mietwohnungsbau wurde KfW-70 erreicht, die Eigentumsbauten erfüllen KfW-55 – nicht als Selbstzweck, sondern als Ergebnis eines stimmigen Ganzen aus Hülle, Grundriss und Technik.
Technik – so viel wie nötig
Beheizt wird das Quartier über ein regenerativ bewertetes Fernwärmenetz; in den Mietgebäuden übernehmen Heizkörper die Wärmeverteilung, in den Eigentumsgebäuden die Fußbodenheizung. Für belastbare Betriebsdaten wurde ein Haus mit kontrollierter Wohnraumlüftung und Wärmerückgewinnung ausgestattet, während die übrigen Gebäude mit effizienter Abluft- und Nachströmtechnik arbeiten – ein praxisnaher Vergleich im laufenden Betrieb. Die Anlagentechnik bleibt bewusst überschaubar, um Wartungs- und Betriebskosten planbar zu halten.
Erschließung und Ankommen
Alle Wohnungen sind schwellenlos von der Tiefgarage erreichbar. Überdachte Eingänge markieren die Adressen, Treppenhäuser sind klar proportioniert und natürlich belichtet. Oberirdische Stellplätze bleiben die Ausnahme; der Freiraum gehört den Wegen, dem Spiel, den Gesprächen im Vorübergehen. So entsteht alltägliche Qualität ohne große Geste.
Qualität, die trägt
Die gestalterische Identität ruht auf wenigen, seriell wiederkehrenden Elementen: dem präzisen Dach, der feinen Balkon-Loggia-Figur, den ruhigen Putzflächen. Innen sorgt ein klarer Ausbau für lange Haltbarkeit; außen schützt ein sorgfältiger Materialkanon die Substanz. Das Ergebnis: gute Wohnqualität zu vertretbaren Kosten – und ein Quartier, das als Ganzes stärker ist als die Summe seiner Häuser. Die nominierte Auszeichnung beim Deutschen Bauherrenpreis unterstreicht diese Haltung.
Resümee
Die Wohnbebauung Sligostraße zeigt, wie bezahlbarer Wohnraum und Eigentum in einem gemeinsamen architektonischen Ausdruck zusammenfinden können. Städtebauliche Präzision, robuste Konstruktion und ein intelligenter Freiraumverbund schaffen ein Umfeld, das Menschen nicht belehrt, sondern begleitet – leise, langlebig, zugewandt.

Der moderne Wohnbau zeigt eine klare, reduzierte Architektursprache mit weißer Putzfassade, asymmetrischer Fensteranordnung und auskragenden Balkonen. Durch farblich akzentuierte Rücksprünge in den Loggien und die plastische Fassadengestaltung entsteht ein lebendiges, zeitgenössisches Erscheinungsbild.

Fassadengestaltung mit plastisch ausgebildeten Balkonen und zurückversetzten Loggien. Die Kombination aus hellen Putzflächen, feingliedrigen vertikalen Geländern und farbig akzentuierten Rücksprüngen verleiht der Fassade Tiefe und Lebendigkeit. Wechselnde Licht- und Schattenspiele betonen die architektonische Struktur.

Der schlichte, moderne Baukörper mit geneigtem Dach fügt sich harmonisch in die umgebende Wohnbebauung ein. Eine klare Fassadengliederung mit regelmäßig angeordneten Fenstern, einer zurückhaltenden Farbpalette und gezielt gesetzten Farbakzenten im Eingangsbereich prägt das Erscheinungsbild.
Partner und Experten im Überblick
Die Realisierung des Projekts war das Ergebnis einer interdisziplinären Zusammenarbeit zahlreicher Fachplanerinnen und Fachplaner. Im Folgenden sind alle am Projekt beteiligten Partnerinnen und Partner aufgeführt, deren Engagement und Fachkompetenz wesentlich zum Erfolg des Bauvorhabens beigetragen haben.
BSG Allgäu, Kempten
f64 Architekten und Stadtplaner, Kempten
IHW Hartmann + Walter, Kempten
IB Stöffel VDI, Kempten
IB Lippert, Kempten
IB Anwander, Sulzberg
Gerhart Kindermann, Isny
Keller-Damm-Roser, München
PR Company, Augsburg
Gerd Schaller, Augsburg
Klimabewusst bauen beginnt selten mit dem Material und fast nie mit einer Zahl. Es beginnt mit einer Haltung: erst schauen, dann entscheiden; nicht Perfektion suchen, sondern Sinn, Maß und Verantwortlichkeit – ein Kompass, kein Masterplan. In diesem Sinne lässt sich die Wohnbebauung Ludwigshöhe als Einladung lesen, das Bauen als Kulturtechnik zu verstehen: sozial gemischt, städtebaulich durchlässig, konstruktiv einfach – und damit offen für die Zukunft.
Sechs Stadthäuser, zwei Bauabschnitte, geförderter Mietwohnungsbau neben Eigentum; energetisch auf dem Niveau KfW-55; versorgt über Fernwärme aus einem Müllheizkraftwerk – vieles daran ist bewusst unspektakulär und gerade dadurch wegweisend.
Stadt statt Solitär
Der Bebauungsplan von 1993 versprach Dichte per Blockrand, doch die gebaute Lösung entschied sich für Weite: gegliederte Baukörper, die den Grünzug aufspannen, Sichtachsen öffnen und Außenräume als gemeinsames Gut lesbar machen. Das ist kein formales Detail, sondern eine soziale Setzung: Identität entsteht nicht durch Monument, sondern durch Nachbarschaft. Klimabewusstbauen nennt das „Miteinander als Katalysator“ – Transformation als kollektive Praxis, nicht als Solonummer – und genau so wirkt dieses Quartier im Allgäu .
Einfachheit als Strategie
„Zufriedenheit durch Sinn und Maß“ – die Leitidee klingt abstrakt, bekommt hier aber Material: robuste, kompakte Massivbauweise; monolithische Ziegelaußenwände (36,5/42,5 cm) mit Dreifachverglasung; Fernwärme plus einfache, wartungsfreundliche Haustechnik. Das ist nicht die Jagd nach dem exotischen Baustoff, sondern die Entscheidung für bewährte Systeme, die im Alltag tragen – ökonomisch, technisch, kulturell.
Materialität – Nachhaltigkeit braucht kluge Entscheidungen
Der Satz ist hier kein Slogan, sondern ein roter Faden: Nachhaltigkeit braucht kluge Entscheidungen. Dazu gehört, die großen Lastträger ehrlich zu benennen – und dann mit ihnen verantwortlich umzugehen.
Beton bildet Decken und Tragwerk, dort, wo Formbarkeit, Schall- und Brandschutz sowie Robustheit gefragt sind. Die Ambivalenz dieses Materials – hohe CO₂-Lasten in der Zementherstellung, zugleich enorme Dauerhaftigkeit und Speichermasse – verlangt Maß statt Maxime: so viel wie nötig, so wenig wie möglich; Kombinationen denken, Recyclingwege offenhalten.
Stahl – als Bewehrung und in tragenden Details – ist das stille Rückgrat. Seine Stärke ist unbestritten, seine Klimabilanz ein Auftrag: Kreisläufe schließen, Qualität sichern, langfristig in dekarbonisierte Herstellrouten wechseln. Auch hier gilt: Entscheidung als Haltung, nicht als Symbol.
Mauerziegel prägen das Mauerwerk: ein kulturell vertrauter Baustoff mit hoher Druckfestigkeit, Speichervermögen und Brandsicherheit. Die Ziegelbauweise der Ludwigshöhe ist nicht Nostalgie, sondern Pragmatismus: verlässlich, reparaturfreundlich, mit klarer bauphysikalischer Logik – und in der Region handwerklich tief verankert.
Monolithisches Ziegelmauerwerk und ein Tragwerk aus Stahlbeton bilden die Gebäudehülle.
Großzügige Fenster, weißer Putz und Auskragungen aus Beton prägen das Erscheinungsbild.
Charakteristisches Design der Balkone mit ihren geschwungenen Aluminiumeinfassungen.
Steinwolle als im Ziegel integrierte Dämmung steht für die leise Seite des Bauens: Brandschutz, Schallschutz, Wärmeschutz – jene Qualitäten, die man erst merkt, wenn sie fehlen. Auch hier ist die Bilanz doppelt: energieintensive Herstellung, dafür jahrzehntelange Wirkung. Kluge Entscheidungen sehen beides und optimieren die Prozesse, statt die Funktion zu verlieren.
EPS dämmt Keller und Bodenplatte – dort, wo Druckfestigkeit, Feuchteverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit zusammenkommen. Die Herausforderung liegt im Lebensende des Materials; die Entscheidung für EPS ist deshalb immer auch eine Entscheidung für konsequente Rückbau- und Kreislaufstrategien.
Mörtel fügt: als Putz innen und außen, als Fuge im Mauerwerk. Das vermeintlich Nebensächliche wird zur Kulturtechnik des Verbindens – und erinnert daran, dass Nachhaltigkeit auch in den Schnittstellen entsteht, nicht nur in den „Hauptdarstellern“.
Wandfarbe gibt dem Ganzen eine atmende Haut – Schutz und Ausdruck zugleich. Mineralische, emissionsarme Systeme können hier die Haltung übersetzen: Dauer vor Mode, Raumklima vor kurzlebigem Effekt.
Gerade in der Summe zeigt sich, was klimabewusstbauen meint: Nicht der eine „richtige“ Stoff macht das Projekt vorbildlich, sondern das Gefüge aus Entscheidungen – kontextbewusst, maßvoll, anschlussfähig. Die Ziegel-Monolithik unterstützt eine wärmebrückenfreie Hülle; die Fernwärme (regenerativ aus Müllheizkraftwerk) entkoppelt das Quartier von fossilen Einzelanlagen; der Energiestandard KfW-55 wird ohne Hightech-Overkill erreicht, sondern mit guter Hülle, Dreifachglas, Fußbodenheizung und wohldosierter Lüftung. Kluge Entscheidungen eben – im Sinne des Machbaren und Wartbaren.
Soziales als Klimastrategie
Klimabewusstbauen beginnt beim Menschen. In Kempten wohnen Geförderte neben Eigentümer:innen, ohne hierarchische Fassaden; die Architektur verzichtet auf unterscheidende Statuszeichen. Das ist mehr als Ästhetik: soziale Stabilität verlängert Lebenszyklen, vermeidet „schnellen Verschleiß“ an Haus und Quartier. Wer bleiben will, pflegt – und wer pflegt, spart Ressourcen. „Freiwilligkeit statt Zwang“, „Eigenverantwortung im Maß des Möglichen“ – auch das liest man in den Grundsätzen, und man sieht es im gebauten Alltag dieses Projekts.
Die Ludwigshöhe ist kein Dogma in Ziegel gegossen, sondern ein Versuch, dem Bauen wieder einen nüchternen Mut zu geben: Mut zur Einfachheit, Mut zur Balance, Mut zur Entscheidung unter Unsicherheit. Klimabewusstbauen heißt hier, sich nicht von Heilsversprechen treiben zu lassen, sondern vom Kontext: vom Ort, von den Menschen, vom Lebenszyklus der Dinge.
Vielleicht ist das die leise Pointe dieses Quartiers: Dass es uns dazu verführt, die richtigen Fragen zu stellen – und dann kluge Entscheidungen zu treffen. Denn Nachhaltigkeit braucht kluge Entscheidungen: im Tragwerk (Beton und Stahl), in der Hülle (Ziegel und Steinwolldämmung), im Untergrund (EPS), in den Fugen (Mörtel) und in der sichtbaren Haut (Wandfarbe). Nicht jede Antwort ist endgültig, nicht jede Wahrheit einfach – aber die Haltung ist klar. Und genau diese Haltung macht die Wohnbebauung Ludwigshöhe zu einem Projekt im Sinne von klimabewusstbauen: verantwortungsvoll, gelassen, zukunftsfähig.
