Stadtvilla mit innerer Ruhe

Ein Einfamilienhaus in Memmingen zeigt, wie klare Architektur, energetische Souveränität und fein austarierte Wohnqualität ein stimmiges Ganzes bilden

Eine Objektreportage in Zusammenarbeit mit
                 

Mitten am Altstadtring, dort wo Takt und Geräusch der Stadt den Alltag bestimmen, entsteht ein Haus, das Gelassenheit ausstrahlt. Es nutzt die Sprache der Reduktion, um Raum zu schaffen: für Licht, für Luft, für leise Rituale. Und es beweist, dass hohe Energieeffizienz, Autarkie und anspruchsvolle Gestaltung keine Gegensätze sind.

Ort und Haltung

Das Grundstück liegt zentral, die Anforderungen sind präzise: Schallschutz nach Osten, Offenheit nach Westen, ein starkes Maß an Privatsphäre und dennoch der Blick ins Grün. Der Bauherr – zugleich Architekt – reagiert mit einer klaren Setzung: eine kompakte Kubatur, gezielt geschlossene Fassadenanteile zum Altstadtring, großzügige Öffnungen zum Garten. So gelingt die städtebauliche Balance zwischen urbaner Dichte und ruhigem Wohnen.

Komposition: Kurven und Kanten

Die Architektur lebt von einem nuancierten Dialog aus kubischen und sanft gerundeten Volumen. Besonders die geschwungene südöstliche Gebäudefront gibt dem Ensemble sein Gesicht – eine seltene, handwerklich anspruchsvolle Lösung in Mauerwerk, die dem Haus eine subtile Dynamik verleiht. Dahinter entfaltet sich eine Abfolge aus Räumen, die um Lufträume, Oberlichter und eine zurückhaltende Materialwahl komponiert sind. Sichtbeton, Kalkputz und naturfarbene Hölzer bilden einen ruhigen Kanon, der Dauerhaftigkeit ausstrahlt.

Grundrissintelligenz

Der Grundriss ist auf Alltagstauglichkeit und Zukunftsfähigkeit hin entwickelt. Das Erdgeschoss ist barrierefrei, alle wesentlichen Funktionen – Kochen, Essen, Wohnen sowie ein separierter Schlafbereich mit Ankleide und Bad – liegen auf einer Ebene. Eine als Holzwand getarnte Tür führt in den privaten Rückzugsbereich; ein vorgelagertes Atrium sichert Intimität und Licht zugleich. Oben markiert ein offener Luftraum den Übergang in die privaten Zimmer, während sich eine kleine Dachterrasse diskret in das begrünte Flachdach fügt. Wege sind kurz, Bezüge klar, Proportionen maßvoll.

Material und Konstruktion

Getragen wird die räumliche Ruhe von einer monolithischen Ziegelbauweise. Außen- und Innenwände in Ziegel, Decken und Untergeschoss in Stahlbeton – eine robuste, wirtschaftliche Kombination. Zum Einsatz kommt ein 42,5 cm starker hochwärmedämmender Planziegel mit integrierter mineralischer Dämmung. Er bietet hohe Druckfestigkeit, sehr guten Schall- und Wärmeschutz und ermöglicht einen homogenen Putzaufbau ohne zusätzliche Schichten. Das Ergebnis ist eine Hülle, die energetisch wie bauphysikalisch überzeugt und im Betrieb unaufdringlich bleibt.

Lichtführung und Abschattung

Die Öffnungen sind differenziert gesetzt: großflächige Verglasungen nach Westen, wohldosierte Fenster zum öffentlichen Raum. Bewegliche, vertikal rhythmisierte Sicht- und Windschutzelemente prägen Terrassen- und Oberlichtbereiche. Sie modulieren die Privatsphäre, inszenieren Lichtstimmungen und leisten wirksame Verschattung – architektonisches Detail und sommerlicher Wärmeschutz in einem. Die thermische Masse von Ziegelwänden und Betondecken puffert sommerliche Lastspitzen, überschüssige Wärme wird in den kühlen Nachtstunden wieder abgegeben. So bleibt das Haus selbst bei Hitze behaglich.

Energie: Autark gedacht

Das energetische Konzept zielt auf Unabhängigkeit: Eine Grundwasserwärmepumpe versorgt Heizung und Warmwasser, gespeist überwiegend mit Strom aus der eigenen Photovoltaikanlage. Die flächige Fußbodenheizung übernimmt im Winter die sanfte Wärmeabgabe und kann im Sommer zur passiven Kühlung genutzt werden. Eine zentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung rundet das System ab. Der Endenergiebedarf liegt bei rund 15,1 kWh/m²a – der KfW-Effizienzhaus-55-Standard wird souverän erreicht. Technik, die nicht dominiert, sondern dient.

Maße und Fakten – präzise gesetzt

Das Haus steht auf einem 926 m² großen Grundstück; die bebaute Fläche beträgt 245 m². Der umbauter Raum umfasst 1.345 m³ (Wohnhaus) plus 184 m³ (Garage). 181 m² Wohnfläche werden durch 114 m² Nutzfläche und eine 55 m² große Garage ergänzt. Der Bauablauf war straff: In nur zwölf Monaten – von Juni 2020 bis Juni 2021 – entstanden Gebäude und Außenanlagen, ein präzises Zeitfenster in herausfordernder Phase. Zahlen, die die Konsequenz des Entwurfs und die Qualität der Ausführung spiegeln.

Raumgefühl: Reduktion mit Wärme

„So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ beschreibt die innere Haltung. Die Räume sind zurückhaltend möbliert, Übergänge fließend, Blickbezüge bewusst. Die Materialien sind sinnlich, aber nicht laut; Oberflächen altern würdevoll. Die Küche bildet den ruhigen Mittelpunkt zwischen Innen und Außen, der Garten erweitert den Wohnraum, ohne ihn zu zerstreuen. Hier entsteht das, was in Bildern schwer zu zeigen ist: ein gleichmäßiger, unaufgeregter Atem, der den Alltag trägt.

Nachhaltigkeit: Substanz statt Effekte

Nachhaltigkeit wird nicht behauptet, sondern gebaut. Der mineralische, diffusionsoffene Wandaufbau sorgt für Wohngesundheit; langlebige Baustoffe reduzieren den Wartungsbedarf. Photovoltaik, Wärmepumpe und die Speicherwirkung der massiven Bauteile wirken als System. Der Verzicht auf fossile Energien ist keine Kür, sondern Logik des Ortes und der Zeit. So entsteht ein Haus, das Ressourcen schont – im Betrieb ebenso wie im Lebenszyklus.

Resümee

Dieses Memminger Wohnhaus zeigt, wie präzise Architektur das Alltägliche veredeln kann: durch klare Setzungen, sorgfältige Details und eine Technik, die hinter der Atmosphäre zurücktritt. Die Kombination aus monolithischer Ziegelkonstruktion, intelligenter Orientierung und autarkem Energiesystem erzeugt Wohnqualität, die leise überzeugt – heute und in vielen Jahren. Ein Meisterstück moderner Wohnarchitektur, weil es mehr ist als Form: Es ist Haltung.

Projektansichten

Projektbeteiligte

Partner und Experten im Überblick

Die Realisierung des Projekts war das Ergebnis einer engen und interdisziplinären Zusammenarbeit aller Beteiligten. Von der ersten Entwurfsidee bis zur Ausführung trugen Architekt, Fachplaner und ausführende Unternehmen gemeinsam zur hohen gestalterischen und technischen Qualität des Gebäudes bei.

Bauherr

Helmut Schedel, Memmingen

Architekt

Helmut Schedel, Memmingen

Bauunternehmen

Karl Epple, Hawangen

Kommunikation

PR Company, Augsburg

Fotografie

Gerd Schaller, Augsburg

Haus S1 - ein gutes Beispiel für Klimabewusstbauen

Haus S1 in Memmingen hat ein Architekt für seine eigene Familie geplant und gebaut. Es steht mitten in der Stadt und setzt – leise und bestimmt – ein Zeichen dafür, wie Gestaltung, Energie, Alltagstauglichkeit und bauliche Vernunft zusammenspielen können. KfW-Effizienzhaus, monolithische Ziegelbauweise, PV-Eigenstrom, Grundwasserwärmepumpe, sommerlicher Hitzeschutz durch Masse – all das klingt nach Technik, ist hier aber sichtbarer Ausdruck einer inneren Haltung: zupackend, maßvoll, sehr bewusst.

Maß statt Monument

In einem heterogenen Innenstadtumfeld wählt das Projekt die Balance: introvertierter zur Straße, offen zum Garten; privat, aber nicht abweisend. Die städtebauliche Setzung – kompakt am Rand, großzügig zum Westen – spart Ressourcen: weniger Erschließungsflächen, mehr Nutzbarkeit, mehr Qualität pro Quadratmeter. Das ist klimabewusstbauen im Kern: Wirkung vor Geste, Ruhe vor Spektakel.

Energie als Kulturtechnik

Regenerative Versorgung ist hier nicht Anstrich, sondern System: Die Wärme- und Warmwassererzeugung übernimmt eine Grundwasserwärmepumpe; die Photovoltaik trägt den Eigenbedarf, Überschüsse werden eingespeist; die Fußbodenheizung kühlt im Sommer – eine schlichte, robuste Logik des Kreislaufs. Energiestandard und Endenergiebedarf (ca. 15,1 kWh/m²a) sind nicht das Ziel, sondern die Folge einer guten Gesamtorchestrierung. Das passt zum Leitbild von klimabewusstbauen: „Sinn, nicht Schein“.

Materialität – Nachhaltigkeit braucht kluge Entscheidungen

klimabewusstbauen heißt, Stoffe nicht zu romantisieren, sondern sie in ihren Spannungsfeldern ernst zu nehmen. Gerade deshalb ist der Materialmix dieses Hauses interessant.

Mauerziegel bilden als monolithische Außenwände das ruhige, tragende Rückgrat – inklusive integrierter mineralischer Dämmung (Steinwolle). Sie liefern Schall- und Wärmeschutz, speichern sommerliche Hitze und bleiben zugleich handwerklich lesbar. Der Ziegel ist uralt und hochaktuell: energieintensiv im Brand, langlebig in der Nutzung, zirkulierend im Bruch. Kluge Entscheidung ist hier: Dauer vor Austausch, Masse dort, wo sie wirkt.

Steinwolle als integrierte Dämmung im Ziegel – gut geschützt im Bauteil – sorgt für Wärme- und Schallschutz, ohne zusätzliche Schichten. Das ist Einfachheit als Ressource.

Monolithisches Ziegelmauerwerk bildet die Gebäudehülle.

Sandfarbener Putz, bodentiefe Fenster und eine Natursteinterrasse prägen den Gartenbereich.

Großzügige Glasfächen, Holzeinbauten und wertige Sitzmöbel sogen für angenehme Atmosphäre.

Beton kommt dort zum Einsatz, wo er seine Stärken ausspielt: Kelleraußenwände, Geschossdecken, Garage – und als Sichtbeton im Innenraum als ehrliches, ruhiges Gegenüber zu Holz. Beton ist ambivalent: hohe Herstellungsenergie, dafür Formbarkeit, Robustheit, Speichermasse. Nachhaltig wird er im rechten Maß und im richtigen Ort.

EPS dämmt Keller, Bodenplatte und Flachdach. Ein ehrlicher Pragmatismus: EPS ist effizient, leicht, günstig – und zugleich fossil basiert und rückbaukritisch. „Kluge Entscheidungen“ heißen hier: präzise Menge, passender Ort, klare Verantwortung für den Lebenszyklus.

Mörtel verbindet – als Estrich, Innen- und Außenputz. Unsichtbar und unverzichtbar. Nachhaltigkeit im Unsichtbaren bedeutet: Systemsicht statt Einzelteilfetisch.

Glas wird großzügig eingesetzt – als Fensterflächen, die Innen und Außen verweben. Glas schenkt Licht, birgt aber immer die Frage nach Verlusten und Überhitzung. Hier antworten Speichermassen, Verschattung und Orientierung. Offenheit ja – aber im Dialog mit Masse und Maß.

Holzoberflächen in Einbauten und Raumteilern erden die Räume: haptisch warm, atmosphärisch leise. Holz erzählt von Zeit, Pflege und Patina – und erinnert daran, dass Dauer nicht nur technisch, sondern auch emotional ist.

Dieser Materialkanon ist kein Widerspruch, sondern ein Gespräch: Beton trägt und formt; Ziegel dämmt, speichert und strukturiert; EPS isoliert dort, wo es funktional ist; Glas öffnet; Holz beruhigt; Mörtel fügt. Genau darin liegt der Satz, den wir als Leitmotiv an dieses Objekt schreiben: Nachhaltigkeit braucht kluge Entscheidungen. Kluge Entscheidungen sind hier stets kontextbezogen (Ort, Orientierung, Nutzung), maßvoll (so viel wie nötig, so wenig wie möglich) und zyklusbewusst (Herstellung, Nutzung, Rückbau).

Komfort als Ergebnis, nicht als Dogma

Barrierefreiheit im Erdgeschoss, klare Wege, ein Luftraum als räumliche Lunge, Verschattungselemente für Sommerkomfort – der Alltag wird nicht heroisiert, sondern erleichtert. Gute Nachhaltigkeit fühlt sich selten spektakulär an; sie wirkt im Hintergrund, als Ruhe des Systems. Das Leitbild spricht von Routinen, die „entlasten statt überfordern“ – hier wird das räumlich erfahrbar.

Kultur statt Kulisse

Formale Bezüge zur Moderne, weiche Rundungen in der Ziegelarchitektur, ein begrüntes Flachdach: Das Haus verweigert den schnellen Effekt und sucht die stimmige Erzählung. „Bauen ist nicht nur Technik. Es ist Kultur.“ – sagt unsere Philosophie. Dieses Projekt nimmt das ernst, indem es Gestalt, Stoff und Energie nicht addiert, sondern verschaltet.

Vielleicht ist dies das Entscheidende: Nicht das einzelne Bauteil trägt die Nachhaltigkeit, sondern die Haltung, mit der entschieden wird. Das Memminger Haus zeigt, wie ein konsequentes „Ja“ zur Angemessenheit aussieht: ein Ja zum Kontext, zur Robustheit der Systeme, zur Ehrlichkeit der Materialien – und ein Nein zu Übersteigerung, Symbolpolitik und Perfektionsdruck. Es geht uns bei „klimabewusstbauen“ nicht um das fertige Urteil, sondern um den Versuch, mit Sinn und Gelassenheit besser zu werden. Projekte wie dieses helfen, den Kompass zu schärfen: Nachhaltigkeit braucht kluge Entscheidungen – immer wieder, an jeder Stelle, im Detail wie im Ganzen.