Die Sozialbau Kempten realisierte auf dem Areal des ehemaligen Kreiskrankenhauses ein neues Quartier mit fünf Häusern und 121 Wohnungen. Der Entwurf von Palais Mai ordnet das Gelände neu und hält den alten Klinikgarten als gemeinschaftliche Mitte. Stiftsstadt Wohnen zeigt, wie innerstädtische Nachverdichtung ohne Verlust an Freiraum funktionieren kann: Der Bestand wird zum Ausgangspunkt, nicht zum Hindernis. Die Komposition aus Riegeln und Punkthäusern, die monolithische Bauweise und die zurückhaltende Detailierung erzeugen ein robustes, wandelbares Quartier. Entscheidend bleibt die Mitte: der Garten als gemeinsames Gut – städtebaulich klug, im Alltag unmittelbar spürbar.
Ort und Haltung
Der Ort trägt Verantwortung: Wo früher das Kreiskrankenhaus stand, lag ein innerstädtisches Areal mit starker Prägung, aber auch mit Potenzial. Der Entwurf reagiert, indem er den großen, gewachsenen Garten zur prägenden Mitte erklärt und die Neubauten als Rahmen setzt. Der Rand des Grundstücks wird neu besetzt und bildet Adressen nach außen; im Inneren entsteht ein halböffentlicher Park mit klarem Wegenetz, der in die Stadt angebunden ist. Diese Haltung ist zugleich städtebauliche Geste und soziale Einladung: wohnen im Grünen, mitten in der Stiftsstadt.
Die Aufgabenstellung des 2014 ausgelobten Wettbewerbs zielte auf die Neuordnung des Areals und die Entwicklung eines gemischten, innerstädtischen Wohnquartiers. Gewonnen hat Palais Mai, München – mit einem Konzept, das den Bestand ernst nimmt und ihn produktiv wendet. Die Kapelle und der Vorplatz im Norden bleiben räumliche Bezugspunkte; der neue Baukörper an der Westkante vermittelt zwischen öffentlichem Außen und geschützter Quartiersmitte.
Komposition und Typologie
Das Ensemble besteht aus drei freistehenden Punkthäusern im ruhigen Garteninneren und zwei längsgestreckten Riegeln an den Rändern. Die Punktbauten entwickeln eine polygonale, über Eck belichtete Grundfigur; die Riegel definieren Kanten, Übergänge und Plätze. Bis zu sechs Vollgeschosse staffeln die Höhen – eine Maßstäblichkeit, die der innerstädtischen Lage entspricht, ohne den Garten zu bedrängen. Die Loggien und Balkonbänder strukturieren die Fassaden, sie schreiben eine horizontale Tektonik und erzeugen Tiefe durch Schatten. Die Adressbildung gelingt über klar gefasste Eingänge und über Bezüge in den öffentlichen Raum.
Die Typologie nutzt den Mix der Häuser: In den Riegeln liegen mehrfach durchgesteckte Zwei- bis Vierzimmerwohnungen, teilweise als gestapelte Maisonette-Typen (Haus im Haus). In den Punktbauten organisiert ein Dreispänner 2-, 3- und 4-Zimmer-Typen pro Geschoss; die über Eck orientierten Wohnräume nutzen Ausblicke und Belichtungsqualitäten. Diese Komposition schafft Varianz ohne Beliebigkeit – und hält das Ensemble als Figur zusammen.
Grundrissintelligenz
Die Grundrisse arbeiten mit klaren Zonen: ruhige Schlafbereiche, zur Gartenseite orientierte Wohnräume, kurze Wege zur Erschließung. 1,5-geschossige Wohnbereiche und Loggien in den südorientierten Wohnungen erweitern den Raum und lassen differenzierte Übergänge entstehen. Alle Wohnungen sind schwellenfrei erreichbar; Aufzüge verbinden die Ebenen mit den Tiefgaragen. Barrierefreie Erschließung wird hier nicht als Zusatzleistung, sondern als Basisstandard verstanden – ein ebenso funktionaler wie sozialer Mehrwert.
Die Wegeführung im Freiraum schließt an das städtische Netz an. So entsteht Orientierung ohne harte Zäsuren, mit klar lesbaren Adressen und nachvollziehbaren Querungen. Die innere Mitte – der erhaltene Klinikgarten – bleibt als zusammenhängender Grünraum erlebbar; Hecken und Baumgruppen gliedern, ohne die Weite zu zerschneiden.
Material und Konstruktion
Gebaut wurde in monolithischer Ziegelbauweise vom Keller bis unters Dach. Das Bausystem setzt auf homogene Außenwände mit tragender, wärmedämmender Funktion; zusätzliche Verbundsysteme entfallen. Die Robustheit des Materials und seine bauphysikalische Ausgewogenheit – Tragfähigkeit, Schallschutz, Speichermasse – unterstützen die Langlebigkeit des Quartiers. Innen wie außen lässt die Konstruktion Spielräume für spätere Anpassungen; Wände können dort, wo es statisch möglich ist, weichen oder ergänzt werden. Diese konstruktive Klarheit reduziert Schnittstellen und vereinfacht den Bauablauf.
Lichtführung und Abschattung
Die Öffnungsstrategie folgt der Lage im Blockinneren: große, oft über Eck orientierte Fensterflächen holen Tageslicht tief in die Wohnungen. Loggien und auskragende Balkone übernehmen die erste Schicht der Verschattung und wirken als Filter zwischen innen und außen. An den Südfassaden unterstützen 1,5-geschossige Loggienzonen die Belichtung, ohne sommerliche Überhitzung zu riskieren – hier übernimmt der Baukörper selbst die Differenzierung von Licht und Schatten. Die Dachflächen sind begrünt; das verbessert Mikroklima und Rückhalt und ergänzt den sommerlichen Wärmeschutz um eine ökologische Komponente.
Freiraumgestaltung
Der Freiraum ist die leise Stärke des Projekts. Der ehemalige Klinikgarten bleibt als halböffentliche Mitte erhalten und bildet den sozialen Resonanzraum des Wohnens. Wege verbinden Quartier und Stadt; Plätze fassen Eingänge; private Gärten der Erdgeschosswohnungen und Loggien in den Obergeschossen staffeln die Übergänge. Die Dachbegrünungen ergänzen das Grünvolumen, verbessern die Biodiversität und verstärken das Gefühl, „im Garten zu wohnen“. So entsteht Aufenthaltsqualität jenseits von Event – alltagstauglich, robust, offen.
Energie und Technik
Die Versorgung erfolgt über das städtische Fernwärmenetz mit Kraft-Wärme-Kopplung und regenerativem Anteil. Das Quartier erreicht den KfW-55-Standard. Detaillierte Kennzahlen – etwa der Primärenergiebedarf – liegen in den vorliegenden Unterlagen nicht vor. Diese Lücke ist benannt, die Systeme sind beschrieben. Für den Betrieb bedeutet das: effiziente, zentral bereitgestellte Wärme, flächig verteilt über Fußbodenheizungen.
Nutzung und Soziales
Die 121 Wohnungen verteilen sich auf Eigentums- und Mietwohnungen; die Mischung zielt auf unterschiedliche Haushalte – Singles, Paare, Familien. Barrierefreie Erschließung und kurze Wege stärken die Alltagstauglichkeit. Zwei Tiefgaragen nehmen den ruhenden Verkehr auf; oberirdisch bleibt Raum für Wege und Aufenthalt. Der Wohnungsmix, die Adressierung der Häuser und der gemeinsame Garten erzeugen soziale Lesbarkeit: privat, halböffentlich, öffentlich – ohne harte Brüche.

Nicht nur ein optisches Highlight ist ein sechsstöckiges Wohngebäude. Die wärmebrückenfreie Gebäudehülle aus Ziegeln, dreifach isolierverglasten Fenstern und einfacher, robuster Haustechnik schafft eine nachhaltige Bausubstanz. Auch sämtliche Innenwände wurden in Hochlochziegelmauerwerk ausgeführt,

Die geradlinigen Außenfassaden mit den Balkongeländern lassen eine Anspielung auf die Architektur des Art Déco erkennen. Das schlichte Design setzt sich auch im Innern bis in die Wohnungen fort. Alle Wohnungen können barrierefrei erreicht werden und sind rollstuhlgerecht ausgebaut.

Der ehemalige Klinikgarten im Inneren des 13.900 Quadratmeter großen Areals der Stiftsstadt Wohnen bildet eine halböffentliche Grünanlage. Bäume, Büsche und Hecken untergliedern den Raum, was diesen nicht nur einladend macht, sondern gleichzeitig einen ökologischen Mehrwert bietet.
Partner und Experten im Überblick
Das Bräuhaus-Areal ist das Ergebnis einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit vieler engagierter Partner. Von der ersten Idee bis zur Fertigstellung trugen Architekten, Ingenieure, Handwerksbetriebe und Bauherr gemeinsam dazu bei, ein Stück Stadtgeschichte neu zu schreiben. Ihr Zusammenspiel aus Fachwissen, Leidenschaft und Verantwortungsbewusstsein hat ein Quartier entstehen lassen, das Tradition und Moderne in einzigartiger Weise verbindet.
Stiftstadt-Wohnen, Kempten
Palais Mai, München
Häussler Ingenieure, Kempten
Knecht Ingenieure, Wildpoldsried
Wohlfahrt, Kempten
Konstruktionsgruppe Bauen, Kempten
Grabner Huber Lipp, Freising
PR Company, Augsburg
Gerd Schaller, Augsburg
Wer klimabewusst baut, beginnt selten am Reißbrett. Er beginnt mit einer Frage: Was ist schon da – räumlich, sozial, kulturell? In Kempten ist diese Frage besonders konkret. Auf dem ehemaligen Klinikareal ist ein urbanes Ensemble entstanden, das drei polygonale Punkthäuser mit wabenförmigen Grundrissen und zwei längsgestreckte Baukörper zu einem klar gefassten Stadtbaustein verbindet. Das Besondere daran: Der große Klinikgarten bleibt in seiner Fläche weitgehend erhalten und wird zum halböffentlichen Park – verbunden durch ein Wegenetz, das das Quartier mit der Stadt verwebt. Dachbegrünungen ergänzen den grünen Boden und verbessern das Mikroklima.
Maß statt Maxime – eine klimabewusste Lesart
Die Haltung von klimabewusstbauen ist kein Katalog von Verboten, sondern ein Kompass. Sie vertraut auf Freiwilligkeit, Eigenverantwortung, Perspektivwechsel, Miteinander – und darauf, dass Zufriedenheit aus Sinn und Maß entsteht.
Am Kemptener Projekt lässt sich dieses Maß ablesen. Bis zu sechs Vollgeschosse, errichtet in monolithischer Massivbauweise mit speziell entwickelten Ziegeln, formulieren einen robusten Stadtraum, der sich nicht auf spektakuläre Effekte verlässt. Er setzt auf Maß und Dauer.
Der Ort als Ressource
Klimaschutz beginnt nicht erst beim Dämmwert, sondern bei der Entscheidung, Fläche zu sparen und Vorhandenes zu nutzen. Die Neuordnung des innerstädtischen Klinikareals schafft Wohnraum in der Stadt, nicht auf der Wiese. Der erhaltene Garten stiftet Identität, Biodiversität und sommerliche Kühlung – Qualitäten, die sich nicht kaufen, sondern nur pflegen lassen.
Das Gefüge aus Häusern und Zwischenräumen
Die städtebauliche Figur – Kante am Rand, freie Häuser im Grünen – erzeugt Differenz: öffentlich am Vorplatz, gemeinschaftlich im Park, privat auf Loggien und Balkonen. Das ist mehr als Komposition; es ist eine Einladung zum sozialen Miteinander, getragen von der Mischung aus Eigentums- und Mietwohnungen.
Die Setzung ist nicht monumental, sondern bewusst: Sie hält Abstand, gibt Raum, hält Lasten aus – architektonisch wie sozial.
Konstruktion als Kulturtechnik
Wer monolithisch mit Ziegeln baut, entscheidet sich für Speichermasse, Robustheit und geringe Wartung – und gegen eine Überformung der Hülle. Diese Ruhe im Aufbau ist Teil einer klimabewussten Ästhetik: weniger Schichten, mehr Substanz. Zugleich gilt: Ziegel werden energieintensiv gebrannt, ihre Bilanz lebt von Langlebigkeit und Instandhaltungsarmut – also von der klugen Organisation des Gebauten über Jahrzehnte.
Stahl und Beton als Tragwerk bilden zusammen mit monolithischem Ziegelmauerwerk die Gebäudehülle.
Bodentiefe Fenster, Französische Balkone und ein Dachüberstand fügen sich ins Ortsbild ein.
Großzügige Abstandsflächen mit viel Grün schaffen eine besondere Aufenthaltsqualität.
Die Tragstruktur aus Stahl und Beton – sichtbar auf Balkonen, verborgen in Decken, Böden und Bewehrungen – ist kein Widerspruch zur Haltung, sondern ihr Prüfstein: Beide Materialien sind energieaufwendig in der Herstellung; nachhaltig werden sie, wenn wir sie zielgenau einsetzen, in Kreisläufen halten und ihre Lebensdauer ausschöpfen.
Hüllen, die leisten – ohne zu posaunen
Dämmstoffe sind die leisen Akteure der Energiewende. EPS unter Boden, im Keller und am Flachdach liefert hohe Dämmwirkung bei geringer Schichtdicke – nützlich, pragmatisch, aber im Rückbau herausfordernd und deshalb ein Fall für organisierte Kreisläufe.
Steinwolle – im Ziegel integriert – bringt Brandschutz- und Schallschutzqualitäten ein; ihre ökologische Stärke liegt in der langen Nutzung, während die Herstellenergie dekarbonisiert werden muss.
Mörtel als Putz und Bindeglied zeigt, dass das Unsichtbare Verantwortung trägt: Er macht das Gefüge erst belastbar – technisch wie bauphysikalisch – auch wenn seine Bindemittel klimasensibel sind.
Glas öffnet, belichtet, verbindet Innen und Außen; als hochwertige Wärmeschutzverglasung spart es über die Nutzungsdauer ein Vielfaches der Herstellenergie ein – sofern Maß gehalten wird.
Innen prägen Holzoberflächen – Parkett, Laminat, Einbauten und Möbel – die Alltagstauglichkeit: Sie sind taktile Kultur und Ressource zugleich; nachhaltig vor allem dann, wenn sie lange bleiben und repariert statt ersetzt werden.
All das lässt sich in einem Satz bündeln, der zu klimabewusstbauen passt: Nachhaltigkeit braucht kluge Entscheidungen. Kluge Entscheidungen bei der Wahl von Stahl und Beton (so wenig wie nötig, so dauerhaft wie möglich), beim Ziegel (Masse als Speicher, nicht als Ornament), bei EPS und Steinwolle (Dämmung als System – mit Plan für den Rückbau), beim Glas (Licht ohne Exzess), beim Holz (Wärme mit Pflegekultur) und beim Mörtel (Verbindung als Verantwortung).
Energie als Infrastruktur – nicht als Etikett
Technisch bleibt das Projekt auf dem Teppich: KfW-55-Standard, gekoppelt an ein effizientes Fernwärmenetz mit Kraft-Wärme-Kopplung und regenerativem Anteil. Das ist kein Heilsversprechen, aber ein belastbares Rückgrat – eine Lösung, die Skalierung erlaubt und soziale Verlässlichkeit mit Klimawirkung verbindet.
Qualität durch Prozess – Wettbewerb, Team, Zeit
Der Weg über den Wettbewerb, die landschaftsarchitektonische Einbindung und die präzise Ausführung in Massivbauweise zeigen, dass Ergebnisqualität aus Zusammenarbeit entsteht. Daten wie Ort, Fläche (13.900 m²) und 121 Wohneinheiten markieren den Rahmen – entscheidend bleibt, wie dieser Rahmen mit Sinn gefüllt wurde.
klimabewusstbauen ist kein Urteil, sondern ein Weg. Stiftsstadt Wohnen überzeugt dort, wo es über den reinen Baustoff hinausdenkt: Innenentwicklung statt Außenverbrauch; Grün, das nicht Dekor ist, sondern Struktur; Konstruktionen, die ehrlich sind und für lange Zeit gedacht; Energielösungen, die Infrastruktur stärken statt Insellösungen zu feiern. Es vermeidet die Pose des Perfekten – und gewinnt gerade dadurch an Glaubwürdigkeit.
So verstanden, ist Stiftsstadt Wohnen weniger „fertig“ als „fähig“: fähig, über Jahrzehnte zu funktionieren, fähig, soziale Mischung zu tragen, fähig, mit wenig Lärm viel Klimasinn zu stiften. Ein Quartier, das nicht behauptet, die Antwort zu sein, sondern zeigt, wie weit man kommt, wenn man das Einfache ernst nimmt: Nachhaltigkeit braucht kluge Entscheidungen.
